Zugegeben: Für mich war es schon in Vor-Baby-Zeiten kein Kinderspiel. Die Berufswelt 2.0 mit ihrer „Always On“-Mentalität hatte mich fest im Griff. Die Schwergewichte Arbeit & Leben in meiner persönlichen Work-Life-Balance in Einklang zu bringen, stellte mich immer wieder vor Herausforderungen. Dennoch sah ich das Licht in der Mitte meiner Work-Life-Balance leuchten. Zumindest heller als meine liebe Ehefrau. Ich fühlte mich ja auf einem guten Weg, eine Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben zu schaffen. Dafür schnürte ich bereits ein vielseitiges Freizeit-Maßnahmenpaket, damit mein Akku immer wieder grün leuchtet. Bis mein Sohn mit seinem ersten Schrei auf dieser Welt mein Gleichgewicht wieder durcheinander brachte, meine funktionierende Balance auf den Kopf stellte.
Der Start in den Tag
Montag, 6.30 Uhr. Regen. Meine Frisur dokumentiert die vorige, unruhige Nacht. Ich quäle mich aus dem Bett, wickle routiniert meine Morgen-Toilette ab. Kurz vor dem Verlassen der Wohnung verabschiede ich mich von meinem Sohn, der nach seiner durchzechten Nacht unschuldig in seinem Bett schläft. Schon jetzt weiß ich, dass ich wieder neu erlernte Fähigkeiten meines Sohnes versäumen und ihn nach unserem intensiven Familienwochenende vermissen werde. Ja, die Zeit verrinnt seit seiner Geburt förmlich. Permanent hinke ich einen Schritt hinterher, erfahre statt erlebe seine Entwicklungssprünge nur.
Angekommen im Büro bekämpfe ich mein fortgeschrittenes Schlafdefizit der letzten Wochen wie gewohnt mit einem starken Espresso. Nur keine Schwäche zeigen. Denn auch Väter kämpfen mit Vorurteilen und Klischees in der Berufswelt. Die unausgesprochenen Zweifel, ob noch genug persönliche und zeitliche Ressourcen für neue Projekte vorhanden sind, ob der Fokus als frischgebackener Vater eh noch immer auf dem Job liegt, bauen sich wie eine unsichtbare Wand auf. Den einzigen Luxus, den ich mir seit der Geburt meines Sohnes gönne, ist die Reduzierung der Abendtermine und ein Offline-Modus in den Abendstunden, bevor mein Sohn sich in den Schlafmodus verabschiedet. Doch jede Verhaltensänderung nährt unweigerlich dieses Klischee-Denken. Gleichzeit wächst der Druck, denn ab sofort ist man ja der Versorger einer ganzen Familie und arbeitet nicht mehr nur für sich.
Mein neuer Alltag
Ich reagiere, indem ich strenger zu mir selbst werde. Ich schraube mein Arbeitspensum nach oben, erhöhe das Tempo. Mein Schlafdefizit weicht meinem Ehrgeiz. Ich nehme Projekt um Projekt an, jage von Termin zu Termin. Dazwischen schlürfe ich hastig den nächsten Kaffee, mein Grundnahrungsmittel in den letzten Wochen, hinunter. Am Weg zum Meeting vibriert mein Handy. Freudig sehe ich, dass mich meine liebe Ehefrau mit Videos unseres Sohnes versorgt. Während der Clip noch lädt, sitze ich schon im Konferenzraum. Keine 30 Sekunden nehme ich mir Zeit, um die Grußbotschaft meines Sohnes anzusehen. Wäre es denn so schlimm, einmal die Kollegen warten zu lassen? Nein, sicher nicht. Trotzdem mache ich es nicht. Mein strenges Ich lässt das nicht zu. Nach dem Meeting folgt die Nachbesprechung, Arbeitspakete werden geschnürt, Aufgaben delegiert. Ich schließe wieder einen intensiven Arbeitstag ab. Das Video bleibt ungeöffnet.
Der Abend
Endlich mache ich mich auf den Heimweg. Ab sofort tickt die Uhr noch lauter. Ich bemerke, wie viele Zeitdiebe auch heute wieder unterwegs sind. Der sonst so nette Small-Talk am Gang hält mich auf, die grüne Welle im Wiener Straßenverkehr funktioniert anscheinend nur im Labor, der Stau auf der Südosttangente wird auch jeden Tag schlimmer und montags sind nur Sonntagsfahrer unterwegs. Mit dem Öffnen der Wohnungstür höre ich meine liebe Ehefrau schon sagen: „Samuel, der Papa ist da!“ Freudig biege ich ums Eck, sehe meinen Sohn an. Schon kreisen 1000 Gedanken durch meinen Kopf. Was habe ich versäumt? Erkennt er mich noch oder fremdelt er vor seinem Papa? Das letzte Mal hat er mich vor rund 20 Stunden gesehen. Und da war er kurz vorm Einschlafen in etwas unpässlicher Stimmung. Die Sekunden, die mich Samuel zuerst einmal begutachtet, vergehen wie Stunden. Bis er grinst, mit seinen Beinchen strampelt, mit seinen Armen freudig in der Luft rudert und dem Lächeln noch Töne folgen lässt. Jetzt startet die Papa-Sohn-Quality-Time. Mein Tag ist gerettet, mein Akku lädt, meine Work-Baby-Life-Balance ist heute im Gleichgewicht.
Meine Work-Life-Baby-Balance ist auch Thema in der WIENERIN (Link)