„Im ersten Jahr brauchst du dein Kind nur verwöhnen“, erklärte mir eine der vielen von uns konsultierten Hebammen vor der Geburt meines Sohnes. Damit verschaffte sie mir einen Freibrief für die ersten zwölf Monate. Den ich auch gerne verlängerte. Unbewusst und ohne Rücksprache mit meiner lieben Ehefrau. Nicht umsonst höre ich in der abendlichen Erziehungsnachbesprechung oftmals die „Darf er das denn bei dir?“-Erziehungsfrage.
Erziehungsfrage
Grundsätzlich liegen meine liebe Ehefrau und ich in Erziehungsfragen auf einer Wellenlänge. Wir sehen uns beide als konsequente Erwachsene an, sehen im Festlegen von Grenzen einen wichtigen Wegweiser für ein Kind, streben ein gesundes Gleichgewicht von Fürsorge und Freiheit an. Ebenso eint uns die unterschiedliche Sichtweise. Kommt mir meine liebe Ehefrau oftmals zu streng vor, erscheinen ihr wiederum manche meiner Zurechtweisungen als zu eindringlich. Einen größeren Unterschied stellt die Geduldsfrage dar: Quengelt mein Sohn oder verständigt sich mit unkontrollierten Gefühlsaubrüchen, bringt mich das weit weniger aus der Ruhe. In der praktischen Umsetzung von Erziehungsmethoden sehe ich jedoch einen wesentlichen Vorteil bei meiner lieben Ehefrau. Denn wer im Brotberuf als Lehrerin 10- bis 14-Jährige bändigt, muss ja für Höheres berufen sein. Trotzdem blitzte ich mit diesem durchdachten Argument für ein „guter Bulle – böser Bulle“ -Erziehungsspiel ab.
Umsetzung
Am Anfang machten wir die Wohnung babysicher und erarbeiteten uns einen strukturierten Tagesablauf aus Essens-, Spiel- und Ruhezeiten. Die schwierigste Aufgabe lag im Spagat zwischen Förderung des Entdeckungswillens meines Sohnes und dem Erklären von Regeln. Gefühlte 1000 Mal in der Minute trennte ich seinen ausgestreckten Zeigefinger vom Knopf der Stereoanlage mit einem begleiteten „Nein“. Oder ich erklärte ihm, dass Schubladen einen anderen Zweck als das Einzwicken von Baby-Fingern erfüllen. Dieses Erklären von Abläufen und Regeln wirkte zugebenerweise anfangs etwas eigenartig. Immerhin stand vor mir ein nicht einmal 80 cm großer Mensch, der zwar lauschte, aber als Antwort nur Geräusche von sich gab. Erst mit der Zeit lernte auch ich, dass mein Sohn sehr wohl verstand, was ich ihm mitteilte.
Erfolge und Arbeitsfelder
Die ersten Erfolge stellten sich langsam ein, denn Erklärungen über neue Abläufe brachten tatsächlich Verhaltensänderungen. Auf Gehwegen greift Samuel brav nach einer Erwachsenenhand, wischt sich – manchmal – brav die Füße ab, bevor er die Wohnung betritt, zieht – hin und wieder – seine Jacke und Schuhe aus und bringt sie in sein Zimmer. Das permanente Auf- und Zumachen von Schubladen reduziert sich stetig, Dinge in Regalen werden – immer öfter – erst nach Erlaubnis der Eltern angefingert. Arbeitsfelder warten jedoch noch genug auf uns: Ein ermahnendes „Stopp“ klingt für meinen Sohn wie ein Marschbefehl, Ruhezeit versteht er gerne als Spielzeit und geht etwas nicht nach seinem Willen, hält er seine Meinung nicht zurück. Über Tischmanieren wage ich gar nicht zu reden …
Die Sache mit der Konsequenz
In unseren zwei Jahren als Eltern erkannten wir die Wichtigkeit von wiederholenden Erklärungen und Konsequenz. Die Umsetzung ist eine andere Geschichte. Es gibt Tage, da pfeifen wir auf die Konsequenz. Einfach, weil die Nacht davor so kurz und anstrengend war oder mein Sohn heute einfach zuckersüß ist. Die richtige Balance zwischen erziehen und verwöhnen müssen wir als Eltern erst finden. Gerade ich neige dazu, mich von meinem Sohn um den Finger wickeln zu lassen. Sein schelmischer Blick und ein bisschen „Lalala“ lenken mich (zu) schnell von meiner eigentlichen Erziehungsaufgabe ab. Und weckt selbst den Schelm in mir. Nur zu gerne rutscht mir ein „Hast du Mama gefragt?“ oder „Samuel, pass auf, die Mama kommt“ heraus. Pädagogisch nicht wertvoll – aber irgendwie muss ich ja auch Munition für die abendliche Erziehungsnachbesprechung liefern.