Die Schwangerschaft ist für einen Mann ein Mysterium. So viele Bücher, Artikel, Kommentare wie in den letzten Wochen habe ich in den vergangenen Jahren nicht gelesen. Ergebnis: Welche Symptome und Verhaltensweisen zutreffen könnten, gleicht einer Lotterie. Mich haben vor allem sechs neue Verhaltensmuster meiner lieben Ehefrau aus den gefühlten 45 Möglichkeiten beschäftigt. Die Klassiker Morgenübelkeit und Heißhungerattacke ließ sie getrost aus. Wobei ich ja nichts gegen absolut gerechtfertigte, überlebensnotwendige Fast-Food-Fressattacken um Mitternacht einzuwenden gehabt hätte …
Schwangerschaftsdemenz
„Wo ist denn das schon wieder?“ oder „Das hast du mir nicht gesagt!“ – diese Sätze begleiteten uns permanent in der Schwangerschaft. Fehlte im Einkaufssackerl eine wichtige Zutat, war der Schuldige schnell gefunden. Und das war nicht meine liebe Ehefrau. Ich hatte es ja weder gesagt noch aufgeschrieben. Diskussionen, wer denn hier nun Recht hat, bringen mit einer Frau, die noch dazu in ihrem Brotberuf Lehrerin ist, wenig – schon gar nicht, wenn sie unter Schwangerschaftsdemenz leidet. Das versicherte mir meine liebe Ehefrau mehrfach, nachdem sie davon in einem Schwangerschaftsratgeber gelesen hatte.
Stimmungsschwankungen
Meine liebe Ehefrau ist sehr geerdet, pragmatisch, lacht gerne und weint nur bei Filmen, die ich „nicht verstehe“. Neu war mir, dass sie beides – lachen und weinen – im Sekundentakt abwechseln kann. Bei der Premiere war ich hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen (was habe ich schon wieder falsch getan) und Pausenclown (toll, meine liebe Ehefrau lacht immer noch über meine Witze). Mittlerweile genieße ich dieses schräge Potpourri der Launen. Auch weil ich weiß, dass es schlimmer geht: In den ersten Schwangerschaftswochen wechselte die Stimmung meiner lieben Ehefrau häufiger, als ich Socken wechselte. Bei Männern erwacht in solchen Situationen sofort der Survival-Instinkt: Keine größeren Katastrophen heraufbeschwören und eigene getroffene Entscheidungen grundsätzlich als problematisch identifizieren. Es schadet auch nicht, selbst eine blütenweiße Weste zu haben und auf die Sekunde pünktlich nachhause zu kommen. Eines sollte man nicht machen: Niemals darf man „Stimmungsschwankungen in der Schwangerschaft“ googeln. Ich habe es trotzdem getan und landete in einem Forum. Es war wie ein Auto-Unfall, ich musste einfach weiter lesen. Sieben von zehn Postern wollten ihre Frau umgehend verlassen, zwei überlegten noch, einer versuchte zu beschwichtigen (der Administrator?). Heute weiß ich, man muss diese Zeit einfach wie ein Mann nehmen. Augen zu und durch. Nichts war so gemeint, wie im ersten Moment gesagt.
Geruchssinn
Jahrelang hatte ich den Reinigungsablauf meiner Sportsachen fest im Griff. Entweder einige Stunden, aber spätestens eine Woche nach der Aktivität, war die Tasche leer geräumt und alle Utensilien in der Wäschekammer. Manchmal konnte es im Eifer des Gefechts passieren, dass sich ein Socken gut in der Tasche versteckte und erst Wochen später identifiziert werden konnte. Das war dann einfach Pech … Schon vier Wochen nach dem positiven Schwangerschaftstest lief meine liebe Ehefrau wie ein Spürhund durch die Wohnung, auf der Suche nach DER Quelle. Ich blieb eiskalt wie eine Hundeschnauze auf dem Sofa sitzen. So sicher war ich, dass meine Pechsträhne von mehreren versteckten Socken in den letzten Wochen vorbei sein musste. Außerdem hatte ich die Sporttasche nicht nur im Abstellraum, sondern dort sogar im Kasten verstaut. Es dauerte keine Minute, bis meine liebe Ehefrau das Corpus Delicti wenig freudig präsentierte. Das Spiel haben wir mehrmals gespielt. Ich habe verloren …
Häufiger Toilettendrang
Meine liebe Ehefrau ist aus Kärnten. Folglich verbringen wir viel Zeit auf der A2 von Wien nach Klagenfurt, um das „schönste Bundesland“ Österreichs so oft wie möglich zu besuchen. Während ich auf unseren Reisen nur Tanken als Notwendigkeit zum Halten sehe, sind die Toiletten auf Raststationen fixe Programmpunkte meiner lieben Ehefrau. Daher ist es auch schon eine Ewigkeit her, dass ich eine vorgegebene Ankunftszeit des Navis unterboten habe – und schließlich hat ein Mann dieses Funktionsgerät nur dafür im Auto. Seit Beginn der Schwangerschaft komme ich nicht einmal in die Nähe der zu unterbietenden Zeit. Zu stark ist der permanente Gefühl meiner lieben Ehefrau”sofort” zur Toilette zu müssen. Aber nicht nur bei Autofahrten. Es beschäftigt uns Tag und Nacht. In Lokalen checken wir – wie Agenten mögliche Fluchtwege – den schnellsten Weg zur Toilette. Mein stets überwachender Schlaf erlebt das nächtliche, plötzliche Stürmen meiner lieben Ehefrau auf das stille Örtchen mit. Unsere letzte durch geschlafene Nacht liegt daher länger zurück. Bleibt zu hoffen, dass das schon das beste Training ist, wenn unser Kind nachts schreit.
Schwangerschaftsunbelastbarkeit
Meine liebe Ehefrau ist eine Powerfrau, wie es neudeutsch so gerne heißt. Ruhe gibt es erst, wenn alles erledigt ist. Und nichts kann so schlimm sein, dass wir nicht gemeinsam eine Lösung finden. Mit dieser Vorgehensweise kann ein Mann gut arbeiten! Ab der 14. SSW änderte sich langsam, aber konsequent dieses Verhalten. Verschob sich ein Termin aus unvorhersehbaren Gründen, löste das Katastrophenalarm bei meiner lieben Ehefrau aus. Fielen zwei Aufgaben auf einen engeren Zeitraum zusammen, musste die Welt angehalten werden. Schlichtweg war in diesen Momenten einfach alles zu viel. Oder mein fehlendes Organisationstalent kam einfach jetzt stärker zu tragen. Auf jeden Fall half weder das Verschweigen bzw. Vermeiden von neuen Terminen, wie ich herausfand. Einzig Geduld, bisserl Humor, aber vor allem Ruhe sorgten wieder für Gleichgewicht.
Entzug
Seit dem positiven Schwangerschaftstest war meine liebe Ehefrau auf kaltem, langwierigem Entzug. Was das alles heißt, begriff ich erst langsam mit der Zeit. Kein Alkohol, keine rohe Wurst, kein Sushi, kein Kaffee, kein Lachs, kein Tiramisu, keine Cremeschnitte – fast täglich kam etwas Neues dazu, was sie nicht mehr konsumieren durfte. Mit totaler Konsequenz kasteite sich meine liebe Ehefrau für unseren Nachwuchs. Ich beobachtete dieses Verhalten mit voller Bewunderung und weiß bis heute nicht, ob ich diese Konsequenz gehabt hätte …
Auch ich litt unter Schwangerschaftsdemenz 😉