Im Alter von sechs Monaten zeigten sich die ersten Anzeichen von Trennungsangst – im Elternjargon auch Fremdeln genannt – meines Sohnes. Damals sollte meine Mutter erstmals babysitten und damit meiner lieben Ehefrau und mir ein paar Stunden Zweisamkeit gönnen. Nach nicht einmal einer Stunde musste das Projekt abgebrochen werden. Samuel protestierte so lautstark, dass seine Oma besorgt seine Eltern zurückbeorderte. Für mich noch kein Grund zur Sorge, erinnerte ich mich selbst an solche Proteste aus meiner Kindheit. Tatsächlich war es der Startschuss in eine schwierige, neue Phase.
Die ersten Anzeichen
In den nächsten Wochen wechselte Samuel sein Verhalten, ohne eine Gleichmäßigkeit erkennen zu lassen. Bei manchen Personen zeigte sich mein Sohn von seiner Schokoladenseite. Von anderen ließ er sich nicht einmal berühren. Meine größte Sorge, dass mein Sohn auch vor mir fremdeln könnte, erfüllte sich zum Glück nicht. Einzig nachts konnte ihn nur meine liebe Ehefrau beruhigen. Noch nahmen wir es als Entwicklung hin, die auch wieder vergehen wird.
Der Höhepunkt
Im Alter von neun Monaten reduzierte mein Sohn seine Sympathien ausschließlich auf seine Eltern. Binnen Sekunden startete er einen panischen und herzzerreißenden Schreianfall, näherte sich ihm eine Person, die nicht Mama oder Papa war. Oder verließ ein Elternteil für einen Moment das Zimmer. Anfangs nahmen wir diese „Phase“ mit Humor. Schließlich erwarteten wir ja auch ein Ablaufdatum und schmeichelte uns die aufsuchende Nähe des kleinen Mannes. Mit der Zeit wurde die Situation allerdings schwieriger. Bei Ansammlungen von mehr als drei Personen panikte mein Sohn offensichtlich. Besuchten uns Verwandte, beobachtete er diese aus sicherer Entfernung. Um gleich wieder einen Schreianfall zu starten, sobald sich Papa oder Mama aus seiner unmittelbaren Umgebung entfernten. Die Situation belastete uns als Eltern zunehmend. Ein Engagement eines Babysitters, um wenigstens ein paar Momente der Zweisamkeit zu haben, wurde ein Ding der Unmöglichkeit. Zusätzlich blutete das Eltern-Herz, schrie sich mein Sohn seine Verzweiflung aus der Seele.
Was tun?
Natürlich holten wir uns Tipps, suchten nach Lösungen, beobachteten andere Babys in seinem Alter. Sätze, wie „Das ist normal“ oder „Das vergeht“ erleichterten uns nur kurzfristig. Wir hinterfragten uns, überlegten, wo wir Fehler gemacht hatten. Wir sorgten uns, unser Kind zu wenig sozialisiert zu haben. Wir „spielten“ Verabschiedungen, „feierten“ Begrüßungen, bereiteten Samuel sanft auf Besuche vor. Stets mit dem gleichen Ergebnis. Solange ein Elternteil in unmittelbarer Nähe verweilte, sah Samuel kein Problem. Wehe, es entfernten sich jedoch beide. Noch dazu mit einer nicht elterlichen Person im Raum.
Weihnachtswunder?
Mittlerweile dauert diese intensive Phase des Fremdelns schon mehr als neun Monate an. Mit den Vorboten noch einige Monate mehr. Uns bleibt nichts anderes übrig, als diese Phase geduldig und behutsam auszusitzen. Und uns mit dieser Situation zu arrangieren. Seinen Geburtstag feierten wir mehrteilig, um die Personenanzahl an einem Tag gering zu halten. Weihnachten verbrachten wir im noch kleineren Kreis. Doch als wir am Heiligen Abend kurz abgelenkt waren, fanden wir Samuel ganz ruhig neben seinem Onkel sitzend. Bei diesem Mann, der ihn in den letzten Wochen nur aus der Ferne beobachten durfte. Scheinbar nur ein kleines Weihnachtwunder. Nur wenige Tage später setzte Samuel sein intensives Fremdeln fort, schrie sämtliche potenzielle Babysitter in die Flucht. Und wir erneuerten als Eltern unsere Durchhalteparolen. Bis heute.